Es ist nicht überall Bairisch drin, wo Bairisch draufsteht
Gedanken über Idiomatik und Grammatik im Bairischen

Eine alte, gesprochene Sprache ist vielen Gefahren ausgesetzt, wenn sie sich als relative Minderheitensprache neben einer viel größeren, alles bestimmenden „Schwester“ behaupten will. Wer wüsste das nicht! Nicht zuletzt deswegen gibt es ja unseren Verein, dessen wichtigstes Ziel die Pflege und der Erhalt der bairischen Mundart ist. Über die vielen Gefahren, Einflüsse wurde und wird immer wieder gesprochen und geschrieben – das ist auch gut so, denn nur dadurch werden die Gefahren erkannt, werden andere auf die Gefahren aufmerksam gemacht.


Von einer dieser Gefahren, einer, über die weniger gesprochen wird und die wohl auch den meisten kaum bewusst ist, soll hier die Rede sein. Es geht nicht um die Anglizismen, nicht um typisch norddeutsche Ausdrucksweisen, nicht um schlechtestes Umgangsdeutsch oder alle die Übel, wie man sie leider nur zu oft auch in den Medien zu hören bekommt. Es geht um unser gutes Standarddeutsch.

Die Gefahr besteht gerade in der relativ engen Nähe des Bairischen zum Standarddeutschen. Immer wieder begegnet man Sätzen, Satzteilen, angeblich auf Bairisch geschrieben, die nach den Regeln der deutschen Grammatik zwar richtig sind, nicht jedoch nach denen der bairischen. Ruft man bei Wikipedia, dem inzwischen recht beliebten Internet-Lexikon, zum Beispiel den Artikel „Bairische Umschrift“ auf, dann findet man folgenden Beispielsatz (Schreibweise geändert):

„Mei Bruada is in’n Kella ganga, um a Flaschn Wein zhoin.“

Was hier offensichtlich übersehen wurde: Bairisch ist eben nicht nur „anders gesprochenes Deutsch mit ein paar Spezialwörtern“! Bairisch ist eine Sprache mit einer eigenen Grammatik, einer eigenen Formenlehre, einer eigenen Syntax (Satzbaulehre) und einer eigenen Idiomatik (Bestand an feststehenden Redeweisen). Vermutlich wird jeder Leser, der des Bairischen mächtig ist, auf Anhieb sagen können, wie der Satz richtig heißen müsste. Es gibt verschiedene Möglichkeiten:

„Mei Bruada is in’n Kella ganga, weila’r a Flaschn Wein hod hoin woin.“

Oder, wenn ausdrücklich die Zeitenfolge anders sein soll:

„Mei Bruada is in’n Kella ganga, weila’r a Flaschn Wein hoin wui.“
 „Mei Bruada is in'n Kella ganga und hoit a Flaschn Wein“
 „Mei Bruada is um a Flaschn Wein in’n Kella ganga.“

(Es kann übrigens durchaus sein, dass der oben zitierte Satz inzwischen auf der genannten Internetseite geändert wurde,)

Wo liegt der Fehler? Es ist ganz einfach: Nebensätze mit „um zu“ gibt es im Bairischen nicht, im Standarddeutschen dagegen sind sie völlig korrekt. Das „um“ leitet eine Infinitiv-Konstruktion (Grundwort-Konstruktion) ein („um … zu holen.“), wie sie im Deutschen durchaus üblich ist, nicht aber im Bairischen. Das Bairische verwendet statt dessen  meistens die substantivische Konstruktion, das heißt, die Tätigkeit wird zur Sache gemacht und damit ihre Bezeichnung zum Hauptwort. Ein anderes Beispiel soll dies verdeutlichen. Der deutsche Satz „ich bin hier um zu arbeiten“ ist im Bairischen so zu konstruieren: „Ich bin zum Arbeiten da.“

Woher kommt es, dass solche Fehler gemacht werden? Es kann dafür wohl mehrere Gründe geben, doch ein wichtiger scheint der zu sein, dass es offenbar viele Menschen gibt – wohl vor allem in der Großstadt! – die der Überzeugung sind, man müsse nur einfach einen beliebigen Satz Wort für Wort ins Bairische „übersetzen“, dann wird’s schon stimmen.

Ein anderes Beispiel: Gibt man in einem beliebigen Internet-Browser ein: bairisch.de, dann findet man zur Zeit eine im Aufbau befindliche Seite, und man bekommt folgenden Satz um die Ohren gehauen: „Bairisch ist am kommen…“ Am kommen! Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass da jemand am Werk ist, der ein echtes Gefühl für die bairische Sprache hat. Ist das etwa die Liberalitas Bavariae, dass „a jeder deaf, àà, boi a gor ned ko“?

Nachsicht! So werden möglicherweise jetzt manche denken. So schlimm ist das doch gar nicht! Man muss aber die Entwicklung sehen. Derartige im Internet veröffentlichte Texte können durchaus Vorbildfunktion haben oder bekommen für Menschen – vor allem jüngere – die in einer Sprachumgebung leben, in der der Dialekt zurückgedrängt wird und längst wirklich zu einer Minderheitensprache geworden ist. Diese Menschen werden unter Umständen denken: „Aha! So ist’s also richtig!“ Sie werden kein Problem darin sehen, derartige Mischmasch-Formulierungen Bairisch/Deutsch ihrem eigenen Sprachschatz einzuverleiben. Und je weiter diese Entwicklung fortschreitet, desto mehr wird sich der übriggebliebene Rest-Dialekt mit dem Standarddeutschen vermischen. Am Ende wird nichts mehr übrig sein als vielleicht eine gewisse bairisch klingende Aussprache – aber keine bairische Sprache mehr.

Der Großstadtdialekt hat ohnehin bereits viele Wendungen und Wörter aus dem Standarddeutschen übernommen, ohne dass das den meisten Leuten auffällt. Beispiele sind „rei“ und „nei“ statt „eina“ und „eini“, „rauf“ und „nauf“ statt „aufa“ und „aufi“. Längst sind, vor allem in der Stadt, die alten Personalpronomina „ees“ und „enk“ (Kennwörter des Bairischen!) durch die dem Standarddeutschen entsprechenden Formen „ihr“ und „eich“ ersetzt worden. Und die alten Genitiv-Formen „neber meiner“, „hinter seiner“ und so weiter, die es ausgerechnet im Bairischen gibt, das bei Hauptwörtern ja gar keinen Genitiv kennt, diese alten Formen verwendet wohl in der Großstadt kaum noch jemand! Als Kinder haben wir es noch gekonnt - wenn der, der beim Versteckerlspuin „eigschaugt“ hat, am Ende des Auszählens gerufen hat: „Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts guits ned!
I kimm!“ Die einzige Wendung dieser Art, die da und dort noch überlebt hat, ist „wega meiner!“ Aber gerade das sollten wir nicht denken oder sagen, wenn es um unsere Sprache geht!

Wie wenig es möglich ist, deutsche Sätze und Redewendungen Wort für Wort vom Standarddeutschen ins Bairische oder umgekehrt zu übersetzen, das zeigt sich vor allem an den vielen stehenden Redewendungen (Idiomen, vgl. engl. Idioms), die einen ganz besonderen Anteil am Reichtum unserer Sprache haben. Hier ein paar Beispiele, an denen man sich die Unmöglichkeit einer wörtlichen Übersetzung (jetzt umgekehrt – von Bairisch nach Standarddeutsch) klarmachen kann – es bleibt dem Leser oder der Leserin überlassen, eine hochdeutsche Entsprechung zu finden. Bestimmt wird es nicht die wörtliche Übersetzung sein!

 

Do wannsd ma ned gàngsd!
Und dees ned wia! (Schau nach bei Karl Valentin: Gsuffa hams, und dees ned wia...)
Tua di ned obi!
Hod leichd sei kenna!
So gengan de Gàng!
Olle Dàmlang (Daumlang)
Nix is dakennd!

Es gibt Hunderte solcher idiomatischer Redewendungen. Ja, man kann mit Fug und Recht sagen, dass Bairisch eine stark idiomatische Sprache ist, die zu einem nicht unwesentlichen Teil von diesen stehenden Ausdrücken lebt. Nichts gegen gutes Deutsch, aber ich meine halt, dass ein Satz oder ein Text nur dann als Bairisch verkauft werden kann, wenn auch Grammatik, Syntax und Idiomatik bairisch sind!

Es könnte ja sein, dass jetzt jemand sagt, dass eine lebendige Sprache sich verändert, dass sie sich entwickelt, ja, dass sie sich sogar weiterentwickeln muss, will sie eine lebende Sprache bleiben. Die Antwort kann nur sein: Ja, richtig, das stimmt! Aber diese Weiterentwicklung darf doch nicht so erfolgen, dass sie zum Identitätsverlust zu führen droht.

Bleibt die Frage: Was soll, was kann man tun? Die meisten von uns sind wohl in der Lage, sowohl Bairisch als auch süddeutsches Standarddeutsch zu sprechen. Es ist eins so gut wie das andere. Aber es sollte von Fall zu Fall  - und besonders dann, wenn man Schriftliches von sich gibt - wirklich entweder ganz das eine oder ganz das andere sein! Der Appell muss heißen: Versucht, den Dialekt in seiner besonderen Eigenart zu erhalten, indem ihr ihm nicht Merkmale des Standarddeutschen aufzuzwingen versucht, die es im Bairischen nicht gibt!
    
      
Gunter Chmela, Raubling