Warum Karl Bauers schlichte Mundartlyrik heute vergessen ist

Du kramst aus deinem Bavarica-Regal ein unscheinbares schmales Bändchen hervor. Schlechtes Papier, vergilbte Blätter. Du stutzt: Das Bücherl weist einige  Gebrauchspuren auf. Was drauf hindeutet, dass es, vor vielen Jahren mal aus einem Büchertrog mit Recycling-Lesestoff gezogen, einst seine Nutzer gefunden haben muss.

Abb. 1 DorfszeneKarl Bauer ist der Autor, „Aus dem Isarlandl“ der Titel aus Rudolf Rothers nicht unbekanntem Münchner Bergverlag.  2. Auflage 1942. Unter dem Titel auf dem mit einer idyllischen Dorfszene in Scherenschnitt-Manier (Abb. 1) geschmückten Cover steht in Klammern „Bairisch Blut“. Was soll das?

Max Dingler kommt ins Spiel

Das Vorwort stammt von keinem Geringeren als dem bayerischen Dialektforscher („Geschriebene Mundart“, 1941) und Schriftsteller Max Dingler, geboren 1883 in Landshut, gestorben 1961 in München. Zumindest Insidern durch seine Gedichte geläufig, die unter dem Titel „Der Arntwagn“ in einem kleinen Verlag in Hausham/Oberbayern herauskamen und im Rosenheimer Verlagshaus im Jahr seines 100. Geburtstags eine hübsche Wiederbelebung erfahren durften. Als den zu seinen Lebzeiten  „bedeutendsten bayerischen Dichter“ feierte man in Rosenheim Max Dingler, setzte ihn in die Tradition eines Wilhelm von Kobell und Karl Stieler und kennzeichnete seine Werke – einige sind in bescheidenen Heftchen,  illustriert von Hans Prähofer, bei Friedl Brehm in Feldafing erschienen – als „Beweis für die These, dass die Bayern ein Volk sind, das seiner ureigenen Kultur lebt“ und dass „das Bayerische aber mehr als eine Mundart, nämlich eine eigenständige Sprache ist“.

 

Dieser Max Dingler, der neben Lyrik auch Prosa (unter anderem für junge Leser) und Bühnenstücke hinterließ, lobt im Bändchen „Aus dem Isarlandl“ den Autor Karl Bauer – er selbst würde vielleicht sagen „übern Schellenkönig“. Schon allein durch die, wie seinem Vorwort eindeutig zu entnehmen ist, von ihm verantwortete Auslese der „besten Mundartgedichte“ hebt Dingler seinen Lyrik-Kollegen auf besondere Weise hervor. Er führt ihn auf immerhin fünf Seiten derart positiv ein, so dass es nicht verwunderlich wäre, Karl Bauer würde von späteren bayerischen Dichter-Biographen wie etwa Wolfgang Johannes Bekh („Dichter der Heimat“, 1984, „Vom Glück der Erinnerung. Dichter aus Bayern“, 2000) zumindest berücksichtigt werden.

 

Bevor auf Karl Bauers Qualitäten etwas näher eingegangen wird – hier eine erste Kostprobe:

 

Die Bauernstubn

 

As Weichbrunntegerl linker Hand, gehst eini bei der Tür,

Drei schöne Bildln nebranand: a stolzer Kanonier,

Der Preisstier und as Jesukind (am Rahmerl feit a Trumm),

A goldas Spiagerl, schelch und blind, mit Bleamerln umadum,

A Mordstrumm Tisch, zwoa grobe Stühl, der Herrgod gschnitzt im Eck,

A Kastl und an alte Uhr, dahintr a feuchter Fleck,

Zwoa Fleckerlteppich, kreuzweis gspannt, am Tisch drent tausad Fliagn,

Und aar a Weps saust umanand – der Schnauzl ko`n net kriagn;

Am Kachlofa, mollat warm, Strumpfsöckl auffighängt,

Drobn auf zwoa Spoh der Nudltoag, a Luft, dass `s di dasprengt,

De Fensta zua, a rasser Gruch vom Kuahstall waachlt rei;

So is de richti Bauernstubn, und anders derf s` net sei!

Der Erzähler als Aufzähler

Abb. 2 HerrgottswinkelAls typischen Er-„zähler“ i. S. von Auf-„zähler“ stellt Dingler Karl Bauer vor. Seine Begabung liege in der „liebevollen Kleinmalerei, der lebhaft aufzählenden Schilderung von Dingen, Einrichtungen oder Zuständen“. Irmgard von Freyberg, die für die wenigen Vignetten zwischen den Texten gewonnen wurde (hier als Abbildungen beigefügt), ließ sich vom „Herrgod gschnitzt im Eck“ (Abb. 2) zu ihrer Bildbeigabe anregen, indem sie den Herrgottswinkel veranschaulichte.

Das Lebendige, Rhythmisch-Bewegte, das Bauers Mundart-Lyrik durchzieht, kommt weniger  in den beschaulichen Texten zum Ausdruck („Der Leitnerhof“ oder „Winterabend“), als vielmehr in den Gedichten, die typisch „oberlanderische“ Eigenarten markieren. Dazu gehört „Das Odlfahrn“ (Odl = Jauche), dem Städter wertloser Mist, dem Landwirt aber Gold wert:

… `s Riegerl, des tuat an Ruck,

Kreizsapprawolt!

Außi zum Löchl schiaßt

Lauternes Gold!

Klatschn tuat`s, patschn tuat`s,

„Buama, habts ghört:

Dass`s  ma net naschn tuats!

Is ja z`viel wert!“

 

Is tausad Guldn wert

Gwieß, so a Fass!

Taat ma net Odlfahrn,

Wachsat koa Gras.

Gebats koa Milli net,

Leit, des waar dumm!

Drum, bals aa no so stinkt,

Nehmts as net krumm.

 

Nomen est Omen?

Das Bauerntum lebt hoch bei Karl Bauer. Nomen ist Omen? Das wäre zu billig. Bauer kannte das „Landl“, speziell das „Isarlandl“, mit seinen Einöden (Abb. 3) und Wirtshäusern, Marterln und „stillen Platzerln“ (so der Titel eines schön-beschaulichen Gedichts). Bauer brach Lanzen fürs Landleben. In Texten wie „Der Maibaum“ oder „Der Tanz“ zeigte er, wie sehr er Wert  auf „bayrisch Brauch und Sitten“ hielt. Viele seiner Gedichte sind den Dorfbewohnern zugedacht: „Der Roßbua“, „Der Häusler“, „Die Altdirn“ „`s Kuchldeandl“ – Figuren aus der Reihe der „kleinen Leut“, von denen die meisten der Vergangenheit angehören, einer versunkenen Welt der Armut und Genügsamkeit – vielleicht ein Grund, warum Karl Bauers Dichtung in Vergessenheit geriet.

Abb. 3 Einödhof im Isarland

Fortsetzung folgt...