Österreichisches Deutsch

(Auszüge aus den Artikeln Nr. 152,170, 180, 198, 298, 457, 358, 364, 367, 391, 392 im Schriftenverzeichnis http://members.chello.at/heinz.pohl/SchriftenVerzeichnis.htm )

© H.D. Pohl, zuletzt bearbeitet und ergänzt am 10.12.2018.

Zu einer neuen Broschüre des BMUKK

Ein zusammenfassender Artikel (in pdf) zum österreichischen Deutsch (aus

KBS [Schriftenverzeichnis Nr. 358])

Zum Begriff Muttersprache

Überlegungen zur österreichischen Identität

Kritik an einem Zeitungsartikel zum österreichischen Deutsch: „Piefkinesisch

Zum Vergleich (und einige allgemeine Bemerkungen): Serbokroatisch / BKS

Zum Einfluss des Englischen

 

Allgemeines zum österreichischen Deutsch

 

Unter „österreichischem Deutsch“ kann man alle Sprachgewohnheiten innerhalb der Grenzen Österreichs verstehen − unbeschadet des Umstandes, um welche Sprachebene es sich handelt und unbeschadet des Umstandes, dass ein Teil dieser Sprachgewohnheiten auch in Bayern bzw. Süddeutschland anzutreffen ist. Der Begriff „österreichisches Deutsch“ umfasst demnach auch alle Mundarten Österreichs.

Der für Österreich charakteristische Wortschatz bzw. die „Austriazismen“ lassen sich (nach P. Wiesinger 2006, 414 bzw. 2014, 17f. u. 55f. sowie 497f.) in 6 Punkte zusammenfassen:

1. Oberdeutscher Wortschatz, der Österreich, die Schweiz und Süddeutschland (also Bayern und Baden-Württemberg) gegenüber Mittel- und Norddeutschland verbindet;

2. bairisch-österreichischer Wortschatz, der Österreich und Altbayern verbindet;

3. spezifisch-österreichischer Wortschatz als Verwaltungs- und Verkehrswortschatz;

4. ostösterreichischer Wortschatz;

5. regionaler österreichischer Wortschatz;

6. Wortschatz mit zusätzlichen spezifischen Bedeutungen, der verbreitungsmäßig einer der vorgenannten Gruppen zugehört.

 

Beispiele dazu aus dem Bereich Lebensmittel und Gastronomie:

1.  Eierschwammerl, Erdäpfel, Gugelhupf, Knödel, Schlögel, Weichseln;

2.  Geselchtes, Grammeln, Ribisel, Semmel, Topfen;

3.  Beiried, Buschenschank, Faschiertes, Heuriger, Jause, Lungenraten, Marillen;

4.  Obers, Paradeiser, Powidl, Vogerlsalat;

5.  Schübling (eine Wurstsorte, Vorarlberg), Strankerl ‘Fisolen’ (Kärnten), Potitze (eine Mehlspeise, Kärnten und Steiermark), Klobasse (eine Brühwurst, v.a. im Osten und Süden);

6.  Krapfen (für Teigtaschen, v.a. Tirol), Nudeln (gefüllte Teigtaschen, v.a. Kärnten), Stelze (stattdessen in Bayern Schweinshachse, sonst Eisbein; gemeindeutsch ist die Bedeutung ‘Holzstütze für die Beine’), Krügel (nicht nur ‘kleiner Krug’ sondern auch ‘Halbliter Bier’).

 

Die Gruppen 1 und 2 bilden „unspezifische“ österreichische Varianten, da sie auch außerhalb Österreichs vorkommen, hingegen bilden die Gruppen 3-5 „spezifische“ österreichische Varianten, dazu kommt noch ein Teil der Gruppe 6.

Das österreichische Deutsch weist keine Einheitlichkeit auf, sondern ist umgekehrt als Resultat bzw. Summe der zwar unterschiedlich verbreiteten, aber insgesamt für Österreich charakteristischen sprachlichen Erscheinungen zu sehen, die man eben als „Austriazismen“ bezeichnet (in einem ähnlichen Sinne auch Jakob EBNER). Diese lassen sich auf etwa 7-8000 berechnen (oder ca. 3% von insgesamt über 220.000 Worteinträgen in den großen deutschen Wörterbüchern). Wirklich spürbar ist dies allerdings nur in spezifisch auf österreichische Verhältnisse bezogenen Texten wie z.B. juristische Kommentare oder Kochbücher.

Dies alles lässt sich nun verschieden beurteilen. In der österreichischen Sprachwissenschaft haben sich hier mehrere – wie ich das nennen möchte – Denkschulen herausgebildet. Zwar besteht bezüglich der arealen Vielfalt des Deutschen in der Fachwelt bis zu einem gewissen Grad Konsens und dieser ist dadurch geprägt, dass die deutsche Sprache in verschiedenen Staaten gesprochen wird und somit mehreren Nationen bzw. staatlichen Gemeinschaften als Kommunikationsmittel dient. Darüber hinaus stimmen die politischen Grenzen zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern nicht mit den Arealen der Großdialekte überein, daher ergeben sich für das Deutsche zunächst drei Einteilungskriterien: ein „plurinationales“ nach den Nationen („mindestens trinational“), ein „pluriareales“ nach den Hauptmundarten und ein „plurizentrisches“ nach den Zentren der einzelnen Staaten (bis hinunter zu den Verwaltungszentren der einzelnen Länder). Allerdings vermengen die meisten Vertreter des plurizentrischen Ansatzes diesen mit dem plurinationalen oder setzen beide gar gleich. Dies trifft v.a. auf den österreichischen Germanisten Rudolf Muhr zu, der eine „österreichische Varietät“ der „deutschländischen“ gegenüberstellt und dabei einer Auseinander­setzung mit der österreichischen und bundesdeutschen sprachlichen inneren Gliederung weitest­gehend aus dem Wege geht. Eine Kombination des pluriarealen mit dem plurizentrischen Konzept hingegen (von mir bevorzugt) unterstreicht einerseits die österreichischen Besonderheiten und andererseits die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit dem ganzen süddeutschen bzw. altbayerischen Sprachraum; beide sind nicht isoliert zu sehen, sondern erst deren Summe macht das aus, was man „österreichisches Deutsch“ nennen kann. Daher sehe ich das österreichische Deutsch als eine historisch durch Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät auf Grund des plurizentrischen bzw. pluriarealen Standpunkts, da weder das österreichische noch das bundesdeutsche Deutsch als homogen zu betrachten sind, vielmehr bin ich der Ansicht, dass die areale Gliederung, wie sie für die BR Deutschland im großen besteht, sich im kleinen in Österreich fortsetzt, wobei unbestritten bleibt, dass manche Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen, diese aber nur selten im ganzen Bundesgebiet (gilt v.a. für die Gruppen 4 u. 5 nach Peter WIESINGER). Näheres siehe weiter unter „Zur Sprachgeographie“.

 

Was sind nun „Austriazismen“? Wie kann man sie weiter klassifizieren?

(A) staatsräumliche Austriazismen: v.a. Verwaltungs-, Rechts- und Mediensprache wie z.B. Landesgericht (vs. Landgericht), Bezirksgericht (vs. Amtsgericht), Landeshauptmann (vs. Ministerpräsident), Katastralgemeinde, Landesrat (vs. „Minister“ [eines Bundeslandes in der BRD]), Erlagschein (vs. Zahlkarte), Tischler (vs. Schreiner, so auch in Vorarlberg), Jause (vs. Brotzeit), weiters Kundmachung, Wachzimmer, Matura (vs. Abitur), Ruhensbestimmungen, Vorrang (vs. Vorfahrt) usw. – diese Wörter „enden“ an der Staatsgrenze, es ist gerechtfertigt hier von „einem stark staatsräumlich bestimmten Bereich“ zu sprechen, daher auch der von mir gewählte Terminus. Dazu kommt noch der von Wien ausgehende gesellschaftsgebundene Verkehrswortschatz wie z.B. Energieferien (umgangssprachlich für „Schulsemesterferien“), oder Allfälliges (statt binnendeutsch Verschiedenes auf der Tagesordnung) sowie Produktbezeichnungen (z.B. Obers-/Apfelkren, Heuriger, Sturm, Most) und einige Berufstitel (z.B. Primarius) usw.

(B) süddeutsche Austriazismen: der österreichische Wortschatz auf Grund der Zugehörigkeit des Landes zum süddeutschen Sprachraum) wie z.B. Bub (vs. Junge), heuer (vs. dieses Jahr), kehren (vs. fegen), Maut „Zoll“, Brösel „Paniermehl“ usw.

(C) bairische Austriazismen: der mit (Alt-) Bayern gemeinsame Wortschatz des größten Teils von Österreichs auf Grund der Zugehörigkeit beider Länder zum bairischen Großdialekt, z.B. Kren (vs. Meerrettich), Scherzel, Einbrenn(e) usw., auch in der Alltagskultur, wie viele Speisen beweisen: Beuge(r)l, Blaukraut, Blunzen, Bries, Brösel, Dampfl, Einbrenn(e), Erdäpfel- (Kartoffel-) püree, -fleck (in Kuttelfleck usw.), Geröstete („Bratkartoffeln“), Geselchtes, Gugelhupf, Häuptel (-salat), Hendl, -junge (in Hühner-, Enten- usw. statt -klein), Kipfe(r)l, Kletzen, Knödel, Krapfen, Kraut(-kopf, -wickel), Kutteln, Leberknödel, -käse, Laib (Brot), Marmelade, Nockerl, Orange, (der) Petersil, Porree, Radi, Rahm, Rindsbraten, Ripperl, rote Rübe, Sauerkraut, Scherzel, Schweinsbraten, Schmarren, Schwammerl, Semmel, Sur (-fleisch, -braten), Tafelspitz, Tellerfleisch, Truthahn, Wecken (Brot), Weißwurst, Wurzel­werk, Zipf (z.B. Polsterzipf „mit Marmelade gefülltes Gebäck“) usw. − Den tiefgreifenden Gemeinsamkeiten zwischen dem bayerischen und österreichischen Bairischen stehen allerdings auch Unterschiede gegenüber, z.B. (Bavarismus / Austriazismus): Schweishaxe(n) / -stelze, Hackbraten / Faschierter Braten, Feldsalat / Rapunzel oder Vogerlsalat, Fleischpf(l)anzel / Fleischlaibchen, Reiberdatschi / Kartoffelpuffer, Obatzter / (abgemachter Topfenkäse ähnlich wie z.B. Liptauer o.ä), gelbe Rübe / Karotte oder Möhre, Radieserl / Radieschen. Doch solche Unterschiede gibt es auch innerhalb Österreichs, z.B. (Tirol) Fleischkäse, (sonst meist) Leberkäse oder Karotte neben Möhre und (gelbe) Rübe, (Westösterr.) Lüngerl, (der/die) Sellerie / (Ostösterr.) Beuschel, (der) Zeller, (Kärnten) Strankerl / (sonst meist) Fisole usw.

(D) regionale Austriazismen (Untergruppen zu A/B/C): ost-/west-/südösterreichische Besonderheiten und solche einzelner Bundesländer, z.B. großräumig (Ost) Obers, Nachtmahl vs. (West/Süd) Rahm bzw. (West) Abend- / Nachtessen, kleinräumig z.B. Strankerl „Fisole, grüne Bohne“ (Kärnten) oder Fraktion „Gemeindeteil“ (v.a. Tirol) oder Hotter „Gemeindegrenze“ (Burgenland).

     Daher sollte bei jeder Beschreibung des österreichischen Deutsch der Punkt (A) im Mittelpunkt stehen sowie juridisch Relevantes aus (D), alles übrige ist mehr von folkloristischer/mundartkundlicher (usw.) Bedeutung. Eine gute Übersicht finden Sie unter http://www.das-oesterreichische-deutsch.at/ (den Abschnitt „Wortschatz und Grammatik“ anklicken). Eine Liste der gängigen Küchenausdrücke finden Sie unter http://members.chello.at/heinz.pohl/KuecheDeutschOesterr.htm.

 

Worin und wie unterscheidet sich das „österreichische“ Deutsch vom „deutschländischen“ Deutsch? 

(A) Auf Ebene des Standards (bis auf einige Aussprachegewohnheiten und lexikalische Besonderheiten) kaum.

(B) Auf Ebene der täglichen Verkehrs- und Umgangssprache wenig vom süddeutschen Raum, stärker vom binnen-bzw. norddeutschen.

(C) Auf Ebene der Verwaltungs- und Rechtssprache sowie in der Gastronomie erheblich.

(D) Auf Ebene der Wirtschafts- und (Print-) Mediensprache mehr oder weniger erheblich, abhängig von den Themen der Berichterstattung, international weniger, im Lokalteil mehr.

(E) Auf Ebene von Rundfunk und Fernsehen kaum − abgesehen von bestimmten Nachrichtenthemen (wie D) und von landes- bzw. regionalspezifischen Sendungen (wie F).

(F) Auf Ebene der Alltagskultur wenig vom süddeutschen Raum, stark vom binnen- und norddeutschen.

(G) Auf Ebene der Mundarten überhaupt nicht (d.h. fließend entlang der Staatsgrenze).

(H) Auf Grund des pragmatischen Sprachverhaltens stark.

(I)  Auf Ebene der Schulsprache nach Bundesländern verschieden mehr oder weniger stark, doch hier bestehen auch deutliche Unterschiede zu Bayern.

 

Zur Terminologie: 

„Austriazismus“ und „Helvetismus“ sind klar, „Teutonismus“ und/oder „Deutschlandismus“ aber unscharf. Wie die Rep. Österreich (West-/Ost- und Ost-/Südost-Gefälle) ist auch die BR Deutschland sprachlich in sich gegliedert (Nord-/Süd- und West-/Ost-Gefälle). Weder „binnendeutsch“ noch die „Teutonismen“ in ihrer Gesamtheit erfassen die ganze BR Deutschland, „bundesdeutsch“ aber ist zumindest die Rechts- und Verwaltungsterminologie und sollte daher auf dieser Ebene der entsprechenden „österreichischen“ (und ggf. „schweizerischen“) gegenübergestellt werden. Überall sonst sind die Grenzen fließend.

„Bundesdeutsch“ ist also für die Rechts- und Verwaltungssprache klar verwendbar (im Sinne von C, das wären also dann die „Deutschlandismen“ im konkreten Sinn des Wortes). „Binnendeutsch“ ist hingegen ein rein sprachgeographischer Begriff; „Teutonismus“ als unscharfer Begriff, der noch dazu bei Nicht-Fachleuten falsche Vorstellungen erwecken könnte, sollte tunlichst vermieden werden (wenn er auch in der Fachliteratur vorkommt).

Zur Geschichte: 

Bis ins 18. Jahrhundert war in den habsburgischen Territorien sowie im katholischen Süddeutschland die „Oberdeutsche Schreibsprache“ vorherrschend. Zunächst stand man in Österreich – wie überhaupt im deutschen Süden (v.a. in Bayern und in der Schweiz) – der auf ostmitteldeutscher Grundlage beruhenden (noch dazu „protestantischen“) deutschen Schriftsprache eher ablehnend gegenüber und es kam darüber in den österreichischen Kronländern zu einem heftigen Gelehrtenstreit. Zu dieser Zeit erforschte Johann Siegmund Popowitsch die Unterschiede zwischen dem in den Österreichischen Erblanden und anderen Teilen des „Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation“ gesprochenen und geschriebenen Deutsch. Er stammte aus der Untersteiermark und war von 1753 bis 1766 Professor für Deutsche Sprache an der Universität Wien und stand dem die deutsche Sprache nach dem Meißnischen Sprachgebrauch normierenden Gottsched ablehnend gegenüber. Bei seinem Tod 1774 hinterließ Popowitsch einen umfangreichen Zettelkasten, aus dem das erste österreichisch-deutsche Wörterbuch hervorgehen hätte sollen: Vocabula Austriaca et Stiriaca (Nach der Abschrift von Anton Wasserthal herausgegeben und eingeleitet von R. Reutner. 2 Teile, Frankfurt a.M. u.a. 2004). Zu seinen Lebzeiten erschienen sind u.a. Die nothwendigsten Anfangsgründe der teutschen Sprachkunst, zum Gebrauche der oesterreichischen Schulen ausgefertigt (Wien 1754).

Doch in Österreich erkannte man bald, dass ein oberdeutscher Sonderweg keine Zukunft hat und mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht (1774 unter Maria Theresia und Joseph II.) wurde auch in Österreich das Gottschedsche Deutsch als offizieller Standard festgelegt (in der Verwaltung verbindlich ab 1780). Zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. trat der österreichische Aufklärer, Verwaltungsreformer, Schriftsteller und Professor für politische Wissenschaften an der Universität Wien, Joseph von Sonnenfels (1732-1817), für die Vereinheitlichung der Sprache ein. Er befürwortete auch die Reduktion der Sprachenvielfalt in der Verwaltung des vielsprachigen Habsburgerreichs und verfasste 1784, als Joseph II. die deutsche Sprache als allgemeine Amtssprache durchsetzen wollte, das Lehrbuch Über den Geschäftsstil: die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten, das bis 1848 das Standardwerk an den österreichischen Universitäten (insbesondere an den juridischen Fakultäten) war. Erklärtes Ziel dieses Lehrbuchs war, die Sprache der Verwaltung so zu normieren, dass sie überall im Vielvölkerstaat einheitlich verwendet werden konnte. Dabei stand weniger eine einheitliche deutsche Standardsprache im Vordergrund, vielmehr war die allgemeine Verständlichkeit des Sprachgebrauchs der staatlichen Verwaltung sein Anliegen. Somit bedeutete sein Lehrbuch den Beginn der Entstehung einer österreichischen Standardvarietät der deutschen Sprache. Durch die gemeinsame Verwaltung des Vielvölkerstaates und den dadurch bedingten kulturellen Austausch im Kaisertum Österreich und (ab 1867) in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn sind zahlreiche Lehnwörter aus dem Tschechischen, Ungarischen, Italienischen, Slowenischen, Kroatischen, Serbischen usw. ins österreichische Deutsch gelangt.

Zur Sprachgeographie:

Die Eingebundenheit Österreichs in den ganzen deutschen Sprachraum unterstreichen auch die Daten des Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (von Jürgen EICHHOFF, Bd. 1-2 Francke Verlag Bern-München 1977-1978, Bd. 3-4 K.G. Saur Verlag, München-Bern 1993-2000). Von insgesamt 266 kartographisch dargestellten sprachlichen Erscheinungen ist rund ein Drittel (oder 94) in Bezug auf Österreich irrelevant, da es sich bei diesem zwar um (überwiegend)  im süddeutschen Raum vorkommendes Sprachmaterial handelt, dieses aber auch anderswo üblich ist, jedoch nicht im gesamten deutschen Sprachgebiet. Exklusiv österreichisch sind insgesamt 71 Erscheinungen, davon sind 39 (mehr oder weniger) in ganz Österreich und 32 weitere nur im Osten und/oder Südosten üblich (also nicht in ganz Österreich). In 49 Fällen stimmt Österreich nur mit Bayern überein, in 55 weiteren Fällen mit dem gesamten süddeutschen Raum. Immerhin unterscheidet sich Österreich in 7 Fällen vom Freistaat Bayern und stimmt dabei mit anderen Regionen überein. Die beiden größten Gruppen sind also die süddeutsche und die erstgenannte mit jenen 94 sprachlichen Erscheinungen, die über den süddeutschen Raum deutlich hinausgehen. Manche Karten mussten doppelt gezählt werden, da dort zwei (oder mehr) "österreichische" Wörter genannt sind, von denen eines und mitunter auch beide (und mehr) unterschiedlich innerhalb und außerhalb Österreichs verteilt sind. Zum Vergleich: exklusiv schweizerisch sind 80 erhobene Daten (gegenüber 71 österreichische), davon sind nicht alle in der ganzen Schweiz üblich (analog zu Österreich); unter diesen Helvetismen sind über 30 % mundartlich (unter den erhobenen Austriazismen sind Dialektismen eher gering). Die ehemalige DDR schlägt sich in nur 8 Wörtern nieder.

Seit 2003 besteht der Atlas zur deutschen Alltagssprache im Internet mit zahlreichen Karten (Näheres unter http://www.atlas-alltagssprache.de/).

 

Was den Österreicher vom Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache.“

Weit verbreitete und häufig kolportierte Ansicht in Österreich, die vielfach Karl Kraus zugeschrieben wird, aber auf Karl Farkas zurückgeht, der George Bernhard Shaws Ausspruch „England and America are two countries divided by a common language“ auf Österreich und Deutschland umgemünzt und nachweislich in seinen Kabarett-Programmen verwendet hat (vgl. Sedlaczek 2004:17 [s.u.])

 

 Wie weit das österreichische Deutsch durch Sprachkontakt geprägt ist, siehe unter:

http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachkontakt.htm

 

Unten geht’s weiter, zunächst einige wichtige Bücher zum Thema:

 

Variantenwörterbuch des Deutschen.

Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Von Ammon, Ulrich / Bickel, Hans / Ebner, Jakob / Esterhammer, Ruth / Gasser, Markus / Hofer, Lorenz / Kellermeier-Rehbein, Birte / Löffler, Heinrich / Mangott, Doris / Moser, Hans / Schläpfer, Robert / Schloßmacher, Michael / Schmidlin, Regula / Vallaster, Günter (unter Mitarb. v. Kyvelos, Rhea / Nyffenegger, Regula / Oehler, Thomas). Berlin − New York, de Gruyter 2004, LXXV, 954 S., ISBN 978-3-11-016575-3, € 68,-

 

Jutta RANSMAYR, Der Status des Österreichischen Deutsch an nicht-deutschsprachigen Universitäten. Eine empirische Untersuchung. Frankfurt am Main, Peter Lang  2006, 326 S., ISBN 978-3-361-55242-1, € 58,10 (Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt,

Bd. 8)

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Robert Sedlaczek, Das österreichische Deutsch (Wie wir uns von unserem großen Nachbarn unterscheiden). Ein illustriertes Handbuch. Wien, Ueberreuter 2004, 496 S., 150 farbige Abbildungen, ISBN: 978-3-8000-7075-6 
€ 34,95 (im Internet unter:
www.das-oesterreichische-deutsch.at)

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Robert Sedlaczek, Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs. In Zusammenarbeit mit Melita Sedlaczek. Innsbruck-Wien, Haymon Taschenbuch (haymon tb73), Innsbruck-Wien 2011. ISBN 978-3-85218-873-7, € 12,95

(zur Rezension hier klicken)

 

Ludwig Zehetner, Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. Regensburg, edition vulpes 2005,  488 S., ISBN 3-9807028-7-1, € 29,00

(zur Rezension hier klicken)

 

Jakob Ebner, DUDEN – Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch. 4., neu bearbeitete Auflage. Mannheim - Wien - Zürich, Dudenverlag 2009, 480 S., ISBN: 978-3-411-04984-4, € 15,40 [3. Auflage 1998, 382 S. (Duden-Taschenbücher Band 8); 1969 erstmals erschienen].

(Rezension der Neuauflage folgt hier)

Herbert Fussy, Auf gut Österreichisch. Wien, öbv&hpt 2003, 144 S., ISBN 978-3-209-04348-1, € 12,90.

Ioan Lăzărescu − Hermann Scheuringer, Limba germană din Austria. Un dicţionar German-Român / Österreichisches Deutsch. Ein deutsch-rumänisches Wörterbuch. Bucureşti, Editura Niculescu 2007 – Passau, Karl Stutz 2007, ISBN 973-3-88849-982-1, 978-973-748-180-1

Heidemarie Markhardt, Das österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main, Peter Lang 2005, 376 S., ISBN 3-361-53084-6, € 56,50 (Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 3)

Heidemarie Markhardt, Wörterbuch der österreichischen Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungsterminologie. Frankfurt am Main, Peter Lang 2006, 134 S., ISBN 978-3-361-55247-6, € 28,30 (Österreichisches Deutsch − Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 7)

Rezension zu beiden Werken in KBS Bd. 33 (2007 [2009]

Rudolf Muhr − Manfred B. Sellner (Hg.), Zehn Jahre Forschung zum Österreichischen Deutsch: 1995-2005. Eine Bilanz.  Frankfurt am Main, Peter Lang 2006, 292 S., 16 Beiträge, ISBN 978-3-631-55450-0, € 52,90 (Österreichisches Deutsch − Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 10)

Rudolf Muhr, Österreichisches Aussprachewörterbuch. Österreichische Aussprache­datenbank. Frankfurt am Main – Berlin – Bern ­– Bruxelles – New York – Oxford – Wien, Peter Lang 2007,  524 S., zahlr. Abb. und Tab., 1 CD, ISBN 978-3-631-55414-2, geb. DE € 68,00, AT € 70,00

Rezension in KBS Bd. 33 (2007 [2009]

Robert Sedlaczek, Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs. Wien, Ueberreuter 2007,128 S.,

ISBN: 978-3-8000-7320-7, € 9,95 (s.a. http://www.unsere-sprache.at/)

Peter Wiesinger, Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte. Wien-Berlin, Lit Verlag 2006, 440 S., ISBN 3-8258-9143-7, € 29.90; 2. erweiterte Auflage 2008, 464 S., ISBN 978-3-8258-9143-5, € 29,90; 3., aktualisierte und neuerlich erweiterte Auflage. Wien-Berlin, Lit Verlag 2014, 512 S. (Austria: Forschung und Wissenschaft – Literatur- und Sprach­wissenschaft, Bd. 2) € 29.90 EUR, br., ISBN 978-3-8258-9143-5.

Rezension zur 3. Auflage hier (als pdf-Datei), zur 2. Auflage in KBS Bd. 33 (2007 [2009],

 

Zum „Österreichischen Wörterbuch“:               http://www.oebv.at  (> Wörterbücher)

Zur Sprache der österreichischen Küche:    http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm

Zu den österreichischen Mundarten:       http://members.chello.at/heinz.pohl/Mundarten.htm

Zum Sprachkontakt allgemein hier, zu Wien (Tschechisch) und Kärnten (Slowenisch)

 

Einige Gedanken zum österreichischen Deutsch

 

Der Österreicher spricht (wenn man von den Minderheiten absieht) durchwegs oberdeutsch, größtenteils (aus historischer Sicht) bairisch, genauer: bairisch-österreichisch (rund 7 Mill. Personen), zu einem kleinen Teil alemannisch (rund 300.000 Personen, v.a. Vorarlberg). Wahrscheinlich sprechen mehr Österreicher bairisch als Angehörige des Freistaates Bayern (insgesamt ca. 12 Mill. Einwohner), der ja − wie auch Österreich − im Westen von Alemannischsprachigen (Schwaben) und darüber hinaus im Norden von Ostfränkischsprachigen bewohnt wird. Mit anderen Worten, ein Bayer ist zwar ein Einwohner des Freistaates, aber nicht unbedingt ein Baier in sprachlicher Hinsicht. Insgesamt wird es wohl rund 13-14 Mill. bairisch-österreichisch sprechende Personen geben, verteilt auf die drei Staaten Österreich, Deutschland und Italien. Österreich ist (mit Südtirol) zwar „mehr bairisch“ als Bayern, aber in bairisch-österreichischen Regionen nimmt heute der nord- bzw. binnendeutsche Sprachgebrauch zu, auch in österreichischen Zeitungen sind Worte wie Junge für Knabe bzw. Bub und Bursche, Treppe für Stiege, Kartoffel für Erdäpfel usw., Plurale wie Jungs, Mädels usw., Wendungen wie er ist gut drauf, es macht keinen Sinn (letzteres kommt eigentlich aus dem Englischen), guck mal usw. heute gang und gäbe; er/sie/es hat gestanden/gelegen/gesessen kann man heute auch in Bayern und Österreich oft hören. Auch der ORF (Österr. Rundfunk) bedient sich zunehmend norddeutscher Wörter und Wendungen sowie Aussprachegewohnheiten (wenn z.B. bei einer Lottoziehung 20 „die Zwanzich“ gezogen worden ist).

Das für Pflichtschulen verbindliche „Österreichische Wörterbuch“ http://www.oebv.at  > Wörterbücher) versteht sich als ein „Wörterbuch der guten, richtigen deutschen Gemeinsprache“; es weist keine wie immer geartete Tendenz zum sprachlichen Separatismus auf, denn das österreichische Deutsch ist in vielfacher Hinsicht mit dem ganzen oberdeutschen Raum verbunden, wobei es in Österreich selbst ein Nord/Süd- bzw. Ost/West-Gefälle gibt und eben dies wird im „Österreichischen Wörterbuch“ festgehalten und dokumentiert und bleibt – sofern zum Standard gehörig – unmarkiert, während im „Duden“ die österreichischen Abweichungen vom „Bundesdeutschen“ als solche markiert werden

In der Zeit nach 1945 erfolgte die Abkehr vom großdeutschen Gedanken und man vermied jeden Bezug aufs Deutschtum. Im Bildungswesen zeigte sich dies u.a. in der (vorübergehenden) Umbenennung des Schulfaches „Deutsch“ in „Unterrichtssprache“ (bis 1954/56). Die weit verbreitete, aber einer kritischen Überprüfung nicht standhaltende Ansicht, das österreichische Deutsch sei eine einheitliche Sprachform vom Bodensee (oder zumindest vom Arlberg) bis zum Neusiedler See, entspringt z.T. dem Wiener zentralistischem Denken nach der Formel „Wien = Österreich“ − somit besteht eine gewisse Neigung, ostösterreichische und Wiener Ausdrucksweisen für das ganze Bundesgebiet zu verallgemeinern, welcher Ansicht – wie oben erwähnt – das „Österreichische Wörterbuch“ nicht folgt, indem es west- und südösterreichische Besonderheiten, die auch in Deutschland üblich sind, gebührend berücksichtigt, z.B. Schreiner, Metzger, Schlagrahm usw. Trotzdem darf man sich nicht der Realität verschließen, dass die deutsche Standardsprache in Österreich stark von Wien und vom Osten her geprägt ist und das Sprachverhalten der Bundeshauptstadt einen gewissen, wenn auch nicht allgemeinen Vorbildcharakter hat. Dies zeigt sich u.a. auch darin, dass viele, dem Bairisch-Österreichischen ursprünglich fremde Wörter, über Wien „eingebürgert“ worden sind, wie z.B. Tischler statt Schreiner, Fleischer amtlich neben Fleischhauer/Metzger oder derzeit schwul ‘homosexuell’ (neben warm, so umgangssprachlich bzw. abfällig) und tschüs (oder tschüss) statt servus. Auch der Österreichische Rundfunk (ORF) trägt zur Verbreitung ursprünglich ganz und gar unösterreichischer Wörter und Wortformen bei, z.B. Sahne (statt Rahm oder Obers), Jungs (statt Buben bzw. Burschen), Mädels (statt Mädel(n)), die Zwei/Drei (statt der Zweier/Dreier) usw.

Zahlreiche „österreichische“ Wörter und Wendungen (abgesehen von den oben unter Punkt 3-5 genannten) werden auch von den (meisten) Bayern als hochsprachlich betrachtet. Nur rund 2-3 % des „österreichischen“ Wortschatzes (also des in Österreich gesprochenen Standarddeutschen) sind „Austriazismen“ im engeren Sinn des Wortes. Eine exakte landschaftliche Abgrenzung des Wort- und Sprachmaterials ist meist nur schwer möglich. Die meisten „echten“ Austriazismen sind vornehmlich in der eigenstaatlichen Tradition Österreichs und nur in geringem Ausmaß in der mundartlichen österreichischen Sprachlandschaft begründet, wie z.B. Nationalrat (gegenüber Bundestag), Landesgericht (gegenüber Landgericht), Bezirksgericht (gegenüber Amtsgericht), Landeshauptmann (gegenüber Ministerpräsident), Erlagschein (gegenüber Zahlkarte), Tischler (gegenüber Schreiner, so auch in Vorarlberg), Jause (gegenüber Brotzeit, Vesper); diese Wörter „enden“ an der Staatsgrenze, es handelt sich also in diesem Zusammenhang um einen stark staatsräumlich bestimmten Bereich. Der ganz überwiegende Teil des österreichischen Wortschatzes jedoch ist süddeutsch, wie z.B. Bub (gegenüber Junge), heuer (gegenüber dieses Jahr), kehren (gegenüber fegen), Maut ‘Gebühr für Straßen- bzw. Brückenbenützung’, (alt) Zoll’, Brösel ‘Paniermehl’ usw. Im Wörterbuch Bairisches Deutsch (Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern) von Ludwig ZEHETNER fand ich nur rund 4-6% Wörter, die (zumindest meinem subjektiven Empfinden nach) in Österreich (auch regional) unüblich sind. Daher sollte man hinsichtlich der Definition, was „österreichisches Deutsch“ im engeren Sinne ist, sehr behutsam vorgehen.

Was man unter österreichischem Deutsch versteht, ist jene Sprachform, die in Österreich als Standard empfunden wird, wozu zunächst einige Aussprachegewohnheiten zu zählen sind, so wird die Endung -ig als [-ik] (und meist nicht [-iç]) gesprochen, z.B. dreißig [´draisik], König [´kø:nik]. Die Gruppen che-/chi- werden in Österreich ausschließlich als [ke-/ki-] gesprochen, nicht [çe-/çi-], z.B. China [´ki:na]. Während in Deutschland die offene Aussprache [ε:] für langes geschriebenes ä als Norm gilt, wird dieser Laut in Österreich meist geschlossen, also [e:] gesprochen. Auch kurzes i, u und ü sind geschlossen, und nicht [ɪ], [ʊ] und [ʏ]. In mit Vokal beginnenden Wörtern und Silben fehlt in Österreich in der Regel der „harte Stimmeinsatz“ [ʔ]. Außerdem wird in den auslautenden unbetonten Silben mit -el, -en, -em das e nicht als [ə] gesprochen, sondern fällt meist weg, z.B. Hebel [´he:bl], kühlen [´ky:ln]. Wörter wie Husten, Erde, Wert usw. werden mit Kurzvokal gesprochen, oft weicht die Betonung ab, z.B. Kaffée, Mathemátik, Platín, Ánis, ábsichtlich, nótwendig (und nicht Káffee, Mathematík, Plátin, Anís, absíchtlich, notwéndig neben ábsichtlich, nótwendig) usw. Typisch für die österreichische Aussprache ist die im Süddeutschen allgemein übliche Aufgabe der Stimmhaftigkeitskorrelation zugunsten der Opposition Lenis ‘Lindlaut’: Fortis ‘Starklaut’. Dies betrifft die Phoneme /p/, /t/, /k/, /z/ und /b/, /d/, /g/, /s/; /p/ usw. wird als Fortisplosiv, /b/ usw. als Lenisplosiv (ohne Stimmton) gesprochen. /z/ klingt im Anlaut immer [s], intervokalisch unterscheidet es sich von ss bzw. ß dadurch, dass diese beiden als Fortis-s („stark“) ausgesprochen werden; daher heißt der Buchstabe ß in der österreichischen (und bayerischen) Schulsprache „scharfes s“ (und nicht SZ „Eszett“ wie meist in Deutschland). Die phonologische Opposition an sich bleibt also erhalten. Die Buchstabennamen für J und Q lauten in Österreich meist [je:] und [kwe:]; [jot] und [ku:] gelten als gehoben.

Aus der Grammatik sei erwähnt, dass in der täglichen Umgangssprache – wie auch sonst im Süddeutschen – das Präteritum vermieden und durch das Perfekt ersetzt wird. Wie im Süddeutschen wird der Genitiv in der täglichen Umgangssprache wenig verwendet und durch die Präposition von (z.B. die Freundin von meiner Tochter) oder durch Possessivpronomen + Dativ (z.B. meinem Vater sein Haus ‘Vaters Haus’, meiner Mutter ihr Auto ‘das Auto meiner Mutter’) ersetzt; in der geschriebenen Sprache folgt man freilich den gemeindeutschen Regeln. Bis in die geschriebene Standardsprache reichen aber Abweichungen beim Genus (z.B. das Eck statt die Ecke, der Spitz statt die Spitze, der Akt statt die Akte, der Gehalt statt das Gehalt) und in der Pluralbildung (z.B. Kästen, Wägen, Pölster mit Umlaut, Hirschen neben Hirsche, Risken statt Risiken). Die Ziffern, Schulnoten sowie Bus- und Straßenbahnlinien heißen in Österreich (wie auch in Bayern und der Schweiz) der Zweier/Dreier usw. (und nicht die Zwei/Drei). Auch ich bin gelegen/gesessen (statt habe) usw. gilt in Österreich als Standard.

Wie schon erwähnt sind die „echten“ Austriazismen in der Eigenstaatlichkeit Österreichs begründet. Diese ist viel älter als das erst nach 1945 einsetzende österreichische Nationalbewusstsein, das heute sehr ausgeprägt ist, bekennen sich doch heute mindestens 82 % der Österreicher zur Österreichischen Nation  und nur 7 % halten die Österreicher für keine selbständige Nation. Dies aber widerspiegelt sich nur wenig im Sprachverhalten des offiziellen Österreich, denn der österreichischen Gesellschaft fehlt weitgehend das Bewusstsein, eine „nationale Varietät des Deutschen“ zu sprechen, obwohl man sich politisch (und z.T. auch ethnographisch) klar von Deutschland abgrenzt (diesem Verhalten kommt ja die Legende eines einheitlichen österreichischen Deutsch, das an den Staatsgrenzen endet, entgegen), richtet man sich vorwiegend nach dem (im Duden festgehaltenen) bundesdeutschen Sprachgebrauch. Daher ist der Stellenwert des österreichischen Deutsch im Ausland eher gering (dazu s. Jutta RANSMAYR).

Bei den Verhandlungen zwischen Österreich und der EU wurde auf sprachliche Besonderheiten Österreichs zunächst Rücksicht genommen. Insbesondere österreichische Produktbezeichnungen (in der Regel Lebensmittel) sollten bundesdeutschen gegenüber gleichberechtigt sein. Diese sind im „Protokoll Nr. 10 über die Verwendung spezifischer österreichischer Ausdrücke der deutschen Sprache im Rahmen der Europäischen Union“ aufgelistet. Dieses Protokoll wurde in der Tagespresse als „nationale Großtat“ bejubelt, in Wirklichkeit haben jedoch nur 23 (sic!) Austriazismen Berücksichtigung gefunden, und zwar:

Beiried / Roastbeef; Eierschwammerl / Pfifferlinge; Erdäpfel / Kartoffeln; Faschiertes / Hackfleisch; Fisolen / Grüne Bohnen; Grammeln / Grieben; Hüferl / Hüfte; Karfiol / Blumenkohl; Kohlsprossen / Rosenkohl; Kren / Meerrettich; Lungenbraten / Filet; Marillen / Aprikosen; Melanzani / Auberginen; Nuss / Kugel; Obers / Sahne; Paradeiser / Tomaten; Powidl / Pflaumenmus; Ribisel / Johannisbeeren; Rostbraten / Hochrippe; Schlögel / Keule; Topfen / Quark; Vogerlsalat / Feldsalat; Weichseln / Sauerkirschen.

Diese Liste ist weder patriotisch noch sonst wie verdienstvoll und darüber hinaus aus sprachwissenschaftlicher Sicht ungenau (s. die Tabelle unter: http://members.chello.at/heinz.pohl/EU-Liste.htm) − sie ist eben eine typisch österreichische Lösung. Je größer die Anzahl der Austriazismen gewesen wäre, desto mehr wäre das österreichische Deutsch aufgewertet worden (und das Süddeutsche ganz allgemein gestärkt worden − auch in Bayern!) Gerade im Hinblick auf die Regionen in der EU hätte die Vielfalt der regionalen Alltagskultur ihren sprachlichen Reflex finden sollen.

Wenn es auch eindeutig und klar zu definierende Austriazismen gibt, sie reichen nicht aus, um eine in Österreich mehr oder weniger einheitliche und von Deutschland abgrenzbare Varietät des Deutschen für Österreich zu festzuschreiben (s.o.). Auch das österreichische Sprachverhalten entspricht kaum einem „nationalen“. Die Definition des Begriffes „Austriazismus“ ist darüber hinaus schwierig zu definieren, denn Speisen wie Apfelstrudel, Vanillekipferl und Germknödel sind zwar österreichischer Provenienz, aber die einzigen (gemein-) deutschen Bezeichnungen für diese Gerichte (auch das Hamburger Labskaus − ein traditionelles Seemannsgericht − ist zwar norddeutsch, aber es gibt kein anderes Wort dafür, auch für die schwäbischen Spätzle nicht). Es betreffen zwar die für Österreich typischen Ausdrücke alle Lebensbereiche, häufen sich aber auf dem Gebiet der Verwaltung und Gastronomie. Daher möchte ich mit der lapidaren Feststellung schließen: es gibt sehr wohl eine österreichische „nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber gleichzeitig eine durch die Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche Varietät, „national“ in der Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen Rahmenbedingungen das Festhalten am süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht national“ hinsichtlich des Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen Gesellschaft.

Diese Beobachtungen zeigen, dass das Verhältnis zwischen dem Deutschen in Österreich und in Deutschland (einschließlich des Freistaates Bayern) ein sehr verwickeltes ist. Die innerstaatlich verlaufende Kommunikation, bedingt durch die Eigenstaatlichkeit (spätestens seit 1866/71, aber realiter seit dem 18. Jhdt.) ließ einerseits die „staatsräumlichen Austriazismen“ der Amts- und Verwaltungs- bzw. Küchen- und Mediensprache entstehen und lieferte andererseits den Rahmen dazu, dass süddeutsche und bairische Besonderheiten in unserem Lande ihre Position gegenüber binnen- und bundesdeutschen Varianten besser behaupten konnten als etwa im Freistaat Bayern. Dazu kommt die Randlage Österreichs im Süden des deutschen Sprachgebietes und Randgebiete sind bekanntlich konservativer als Binnenräume. Entscheidend war für Österreich die Einbindung in die einheitliche gesamtdeutsche Standardsprache seit dem 18. Jhdt., die einerseits die areale Gliederung des pluriarealen deutschen Sprachgebietes reflektiert, in Österreich im kleinen, in Deutschland im großen, andererseits die deutschen Großdialekte überdacht und damit die Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische Gliederung des deutschen Sprachgebietes ist sekundär sowie historisch jünger und reflektiert die neuzeitliche politische Entwicklung, hat aber bisher keine einheitlichen Sprachräume nach den Staatsgrenzen schaffen können, zumindest nicht auf der Ebene der Alltagssprache. − Inwieweit das österreichische Deutsch seine spezifischen Besonderheiten bewahren wird und dort, wo es eigene Ausdrücke besitzt, dem Einfluss aus dem Norden über die Massenmedien und die Wirtschaft widerstehen kann, hängt vom Sprachwollen der österreichischen Bevölkerung ab. Es gilt daher ein ausreichendes Bewusstsein über die Eigenarten der österreichischen Varietät der deutschen Standardsprache zu schaffen. Ein ausgeprägtes österreichisches Nationalbewusstsein ist offensichtlich zu wenig, wie die neuere Entwicklung zeigt. Den eigenstaatlich geprägten Österreicher formte nämlich seine Alltagskultur, die wiederum auf die Sprache zurückwirkt und in dieser Wechselbeziehung drückt sich das eigentliche Österreichertum im Rahmen des deutschen Sprachraumes unter zahlreichen Einflüssen aus der vielsprachigen alpinen, mittel- bzw. südosteuropäischen Region aus. Daher sollte die österreichische Identität sprachlich in einem zwanglosen Gebrauch der süddeutschen Standardvarietät einschließlich des zum Standard gehörenden spezifisch österreichischen Wortschatzes aus Amt und Alltagskultur zum Ausdruck kommen.

Es steht also um die österreichische Varietät des Deutschen nicht zum besten, da – hauptsächlich bedingt durch die Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen – immer mehr der eher nördlich geprägte Sprachgebrauch (oft in Form des Substandards) auch in Österreich Platz greift. Dazu siehe u.a. Robert SEDLACZEKs Artikel http://www.weltbund.at/pdf/rwr022009.pdf (unter dem Titel „Mit Sahne schmeckt es lecker! Das österreichische Deutsch ist in arger Bedrängnis“ auf S. 10f.). Die Jugendsprache ist damit bereits durchsetzt (z.B. lecker, poppen, reinziehen), viele in Österreich bisher übliche Wörter und Ausdrucksweisen gehen verloren – das Material reicht für ein „Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs“ (von Robert SEDLACZEK, s. http://www.unsere-sprache.at/index.html), nicht nur auf Grund des bundesdeutschen Einflusses (wie z.B. Januar statt ‘Jänner’ oder Tüte statt ‘Stanitzel’), sondern auch des englischen (z.B. Flyer statt ‘Flugzettel bzw. -blatt’ oder Ticket statt ‘(Eintritts-/Fahr-) Karte’). Damit wird man wohl leben müssen, denn taugliche Rezepte dagegen gibt es nicht. Es sei denn, es gelingt die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die regionale Ausprägung ihrer Sprache als bewahrenswertes Kulturgut zu betrachten ist und dass die typisch österreichische Kultur eben nur mit einem entsprechenden österreichischen Sprachgebrauch abgebildet und wiedergeben werden kann. Die Sprache des Österreichers ist ein Teil des so genannten „immateriellen Kulturerbes“ wie auch das Namengut. Wie die Flur- und Ortsnamen eine Kulturlandschaft prägen, sind auch bestimmte sprachliche Erscheinungen in Wortschatz und Grammatik ein unverwechselbares Merkmal der Bewohner dieser Kulturlandschaft, die das österreichische Deutsch widerspiegelt. Nur eine bewusste Pflege des österreichischen „immateriellen Kulturerbes“ stellt sein Über- und Weiterleben sicher. Mit anderen Worten: es liegt an uns selbst, wie wir mit unserem Kulturgut „österreichisches Deutsch“ umgehen!

Aus allgemein-sprachwissenschaftlicher Sicht sei festgestellt: Sprachen ändern sich stetig, Sprachen stehen in Kontakt. Dies gilt sowohl für „Abstandsprachen“ als auch für Varietäten und „Kulturdialekte“.  Das Vordringen des nördlich gefärbten „Bundesdeutschen“ ist die Folge von Sprachkontakt; ich habe dies an anderer Stelle einmal „Varietätenkontakt“ bezeichnet. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten – ebenso wenig wie die weltweite Dominanz des Englischen und das Aussterben vieler kleinerer Sprachen (meist „Minderheiten“). Es ist eben so, die Wissenschaft kann und soll dies beschreiben, aber nicht beurteilen und schon gar nicht verurteilen. Manche werden es bedauern, anderen wiederum ist es gleichgültig – wie viel anderes auch.

Das österreichische Deutsch ist kein besseres und kein schlechteres, sondern einfach ein in gewissen Bereichen anderes Deutsch; es ist kein „liebenswürdigeres“, „weicheres“, „runderes“ und auch kein „schlampigeres“ Deutsch − dies sind oft zu hörende subjektive Einschätzungen. Es gibt auch nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland nicht verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste findet sich auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern. Die österreichische Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist keine Sprach- oder Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur auf sprachliche Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch Matura, schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur, deutsch und österreichisch Führerschein gegenüber schweizerisch Führerausweis usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in München wie in Salzburg und sammelt Schwammerln in Bayern wie in Österreich.

 

 © H.D. POHL

 

  

Siehe auch: http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm

Zum Beginn: http://members.chello.at/heinz.pohl/Startseite.htm