Weder Mieder noch Lederhose und schon gar nicht ein Dirndl-„Kleid" von der Stange machen aus dem farblosen Einheitsmenschen einen Bayern.

Mag es auch zu Oktober- und sonstigen Volksfestzeiten hierzulande schick sein, sich nach außen hin einen bajuwarischen Anstrich zu geben – sobald der eine oder die andere den Mund aufmacht, schlägt die sprachliche Stunde der Wahrheit. Auch die schönste Tracht ist nichts anderes als im Wortsinn Klamotte, wenn die Sprache dazu nicht stimmt. Denn die Fähigkeit, sich mit Worten auszudrücken, macht den Menschen erst zu dem, was er ist. Und Baier ist nur, wer bairisch redet. Da allerdings tun sich, vor allem in jüngster Zeit, Abgründe auf.

Gerald HuberVon Rügen bis Rosenheim bemächtigt sich ein garstiges Striezeldeutsch bairischer Kinder und selbst die Alten sind vor den anbrandenden Wortwogen nördlich gefärbten Kauderwelsches kaum gefeit. Am wenigsten noch ist dabei der typisch bairische Tonfall gefährdet, eher schon die Grammatik und auf fast verlorenem Posten steht ein Gutteil des gewachsenen bairischen und süddeutschen Wortschatzes. Ein seltsamer Vorgang, wenn man bedenkt, dass es sich beim Bairischen um eine Jahrhunderte alte Kultursprache handelt, die nie nur vom einfachen Volk, sondern immer auch von den Großkopferten und den großen Kulturträgern hierzulande gesprochen wurde. Noch eigenartiger mutet dieses schleichende Aufgeben des Bairischen durch die Baiern an vor dem Hintergrund, dass Bairisch erklärtermaßen die beliebteste aller deutschen Regionalsprachen und Dialekte ist.

Wer Verantwortliche für diesen Kulturverlust sucht, wird auf den ersten Blick schnell fündig: die Politik, die zuwenig für den Erhalt des Bairischen tut und die Medien, die das Land mit ihrem Einheitsdeutsch überziehen. Auf den zweiten Blick aber erweisen sich derartige schnelle Schuldzuweisungen als unzutreffend. Bairisch ist weder Staats- noch Amtssprache und in einem Land wie Bayern, in dem nicht nur Baiern leben,
kann Bairisch auch keine Rundfunksprache sein. Bairisch ist vorrangig die Muttersprache von Millionen Baiern in Bayern und Österreich. Und da ist es, wo der Hund begraben liegt. Hans Well von der Biermöslblosn hat geschrieben.: „Eltern, die sich miteinander im breiten Dialekt unterhalten, reden mit ihren Kindern wie mit Ausländern, in einer „Nicole-tu-das-nicht-tun-Sprache“. Damit lernen die Kinder weder Bairisch noch Hochdeutsch. Was sprachlich dabei herauskommt, sind Menschen, die so reden wie Gewerbemischgebiete ausschauen, wie Landhaussiedlungen, an deren Haustüren oder Wänden dann volkstümliche Musikanten-stadlaccessoirs stehen wie ,Haxn abkratzen."

Wer verlernt, bairisch zu sprechen, wird verlernen, wie ein Baier zu denken und verliert schließlich seine Identität und seinen kulturellen Halt. Vielleicht wurde die bairische Sprache zu lange als folkloristische Zugabe zum Gamsbart gesehen und in die Komädienstadelprovinz abgedrängt. Dabei kann Bairisch durchaus modern und progressiv sein. Zukunft aber hat es nur, wenn die Baiern selbst an die Zukunft ihrer Sprache glauben. Was dazu nottut ist das Bewusstsein der Baiern, dass sie mit ihrer Sprache einen kostbaren Schatz besitzen und das Selbstbewusstsein, dieser Sprache wieder zu ihrem angestammten Recht zu verhelfen.
Also vergessen Sie Ihr Dirndl und Ihren Trachtenanzug! Sowas kann sich jeder überall kaufen. Die Fähigkeit, akzentfrei Bairisch zu reden allerdings, die ist für kein Geld der Welt zu haben!
Aus Gerald Huber; Lecker derbleckt

 

Lecker derbleckt
Eine kleine bairische Wortkunde
von Gerald Huber
Frankfurter Societätsverlag, 2008, 156 S.
ISBN 978-3-7973-1100-9, fest geb. 12,80 €